Nantes
Nantes, im Mittelalter Hauptstadt der Bretagne, doch in der Fünften
Republik von ihr abgetrennt, ist ein bedeutendes Verkehrs- und Wirtschaftszentrum.
Die Halbmillionenstadt entwickelt sich zum Mittelpunkt der künftig
bis nach Saint-Nazaire reichenden Agglomeration Basse Loire. Ihr Hafen
nimmt den vierten Platz in Frankreich ein. Der Seehandel spielte in
Nantes immer eine große Rolle. Sein unrühmlichstes Kapitel
war das Geschäft mit afrikanischen Sklaven.
In einer Festschrift der Stadt Nantes, anläßlich der
Einrichtung des ersten städtischen Telematiksystems zur Information
der Bürger erschienen, heißt es zur Geschichte der Hafenstadt:
»Das große Jahrhundert von Nantes war das 18. Jahrhundert
mit seiner Entwicklung des Negerhandels - auch Dreieckshandel genannt,
da er sich zwischen Nantes, der afrikanischen Westküste und
Amerika abspielte. Schmuck und Glaswerk gingen von Nantes nach Afrika,
wurden dort gegen Neger getauscht, die dann nach Saint-Domingue
und Martinique transportiert und dort gegen Zucker, Kakao, Kaffee
und Tabak gehandelt wurden, wobei letztere Ware zurück zur
Loire-Mündung ging.«
Man mag staunen darüber, mit welcher Unverfrorenheit die Nachfahren
der Sklavenhändler von Nantes noch 200 Jahre später über
diesen Handel sprechen.
Tatsächlich hat man sich damals, im »Jahrhundert der
Aufklärung und der Lichter«, wie Voltaire es nannte,
über das Makabre dieser Betätigung mit Schwarzen nicht
allzuviel Gedanken gemacht. Schließlich betrieb man das Geschäft
mit dem »Ebenholz«, wie man in zynischer Beruhigung
des Gewissens die lebende Ware nannte, nicht allein, sondern in
erbitterter Konkurrenz mit den Engländern, Spaniern und sogar
Holländern, von denen einige gerade in Nantes Kontore mit schwunghaftem
Geschäftsverkehr unterhielten.
Nantes war ein ganzes Jahrhundert lang der Hauptumschlagplatz Frankreichs
für den Sklavenhandel. In den Annalen der Stadt werden für
die Zeit zwischen 1715 und 1785 An- und Abfahrten von 787 Sklavenschiffen
aufgeführt. Etwa 10000 Neger gingen in dieser Zeit durch die
Konten der Stadt, 8000 weitere über Bordeaux, 6000 über
Saint-Malo. Aber, so sagt die Festschrift, kein Bürger dieser
Städte hat jemals auch nur einen Schwarzen zu Gesicht bekommen.
Das Geschäft wurde im Dreieck abgewickelt, und der verwerflichste
Teil desselben lief nur auf der Atlantikschiene zwischen »Guinea«,
wie man damals pauschal die Westküste des schwarzen Kontinents
nannte, und »den Inseln« der Karibik, auf denen spanische,
niederländische, englische und französische Pflanzer einen
stetig wachsenden Bedarf an Arbeitskräften für ihre riesigen
Plantagen hatten.
Es wurden ungeheure Summen verdient, obwohl sich der ganze Handel
in bester colbertinistischer Tradition praktisch bargeldlos, nur
im troc, im Tauschgeschäft, abwickelte. Es entstand dabei eine
Art Sog, der den Betreibern ständig größere Gewinne
einbrachte. Die Häuptlinge an Afrikas Westküste wurden
immer gieriger auf billigen Ramsch aus Europa und folglich williger,
ihre Untertanen gegen Glitter herzugeben - die Farmer in Gouadeloupe
und Martinique konnten gar nicht genug »Ebenholz« bunkern,
ihre Überproduktion an Kaffee, Kakao und Gewürzen drückte
den Sklavenpreis auf unter 30 Pesos, in Europa aber wuchs der Bedarf
an den Genußmitteln, je raffinierter das Leben an den Höfen,
je reicher das Bürgertum wurde, ins Ungeheure.
So kann es nicht verwundern, wenn Nantes diese Zeit noch heute schwelgerisch
das grand siècle nennt, wenn heute noch Paläste und
protzige Bürgerhäuser von dem Reichtum der négriers,
der »Niggerhändler«, zeugen. Ein code noir, auch
»Statut der Negersklaven« genannt, hatte schon 1685
genaue Richtlinien für die Behandlung der Schwarzen festgelegt,
wobei die Strafen vom Abschneiden von Gliedmaßen bis zur Köpfung
- im Falle von Tätlichkeiten gegen einen Weißen - gingen.
Neger durften nur heiraten, wenn der Herr einverstanden war, und
er bestimmte die Frau.
»Neger-Reeder« aus Nantes beeinflußten sogar Gesetze,
ja internationale Verträge des Königreichs, wie etwa den
berühmten Vertrag von Utrecht 1713, der die Auseinandersetzungen
zwischen Frankreich und England im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges
sowie Frankreichs Mitsprache in Amerika (Verlust Kanadas) beendete.
Sie hießen Montaudouin, Espivant de la Villeboisnet, Pichon-Longueville
oder Beauharnais, viele ihrer Nachfahren leben noch heute. Das Palais
Montaudouin an der Place Louis XVI gehört zu den prächtigen
großbürgerlichen Bauten der Stadt. Das Wappen der Familie
mit den sechs Kanonenkugeln im Oval ziert immer noch seinen Giebel.
Denn die Goeletten und Korvetten der Montaudouin trugen bis zu 25
Kanonen, um sich der Piratenschiffe vor der Senegalmündung
erwehren zu können. Sie hatten drei Masten, waren bis zu 90
Fuß lang und verdrängten 500 Tonnen. In ihren Zwischendecks
brachte man 200 Neger unter, meist liegend, weil die niedrige Decke
keine aufrechte Haltung erlaubte; und aus Furcht vor Meuterei legte
man die Sklaven in Eisen. Die Überfahrt dauerte nicht selten
drei Monate. Nur einmal am Tage ließ man die Afrikaner kurze
Zeit auf dem Deck nach Luft schnappen und, wie es in einer zeitgenössischen
Anweisung an die Kapitäne heißt, sich »die Gedärme
erleichtern«.
Wir haben das alle im Buch »Roots« des Amerikaners Haley
nachlesen können, aber hier, in Nantes, ist die Kehrseite dieser
Niedertracht, der Reichtum und die Sorglosigkeit, noch geradezu
greifbar. »Sie starben, damit wir reich wurden«, schrieb
der Nantaiser Lombart am Ende des Jahrhunderts, und 1774 nannte
zum erstenmal ein Franzose, Jacques Raynal, die »Bereicherung
an Negern« unmoralisch. Die Zeiten hatten sich gewandelt.
20 Jahre später schaffte die Große Revolution den Sklavenhandel
ab, und der Pariser Konvent verlieh allen Sklaven des westindischen
Kolonialreichs die französische Staatsbürgerschaft. Nantes
versank für zwei Jahrhunderte in provinzielle Unbedeutsamkeit.
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